NEUE MÄRCHEN FÜR EINE NEUE ZEIT

Welche Geschichten erzählen wir uns – und welche sollten wir erzählen, um gemeinsam in eine friedliche Zukunft zu gehen?

Seit Jahrhunderten erzählen wir uns Geschichten. Märchen, Mythen und Legenden haben die Macht, unsere Weltbilder zu prägen und unser Verständnis von Gesellschaft zu beeinflussen. Doch ein Blick auf die alten Märchen offenbart, dass sie häufig um Herrscher und Herrscherinnen kreisen: Könige und Königinnen, Führer und Häuptlinge, die als zentrale Figuren die Geschicke ihrer Völker lenken. Diese Erzählungen tragen die implizite Botschaft in sich, dass wir immer jemanden brauchen, der für uns entscheidet.  

Doch was wäre, wenn wir uns stattdessen Geschichten erzählen würden, die die Weisheit der Gruppe betonen? Was, wenn nicht Einzelne, sondern alle gemeinsam in die Verantwortung genommen würden?  

In unserer heutigen Demokratie wählen wir Stellvertreter, die Entscheidungen für uns treffen sollen. Doch allzu oft repräsentieren diese Stellvertreter nicht die Vielfalt und die Anliegen der Gesellschaft, sondern lediglich die Ideologien ihrer Partei. Gleichzeitig sehen wir immer wieder, wie stark Entscheidungen von Lobbys und Machtinteressen beeinflusst werden.  

Dabei gibt es bereits Ansätze, die zeigen, dass es auch anders geht: Bürger:innenräte, die per Zufall aus der Gesellschaft gelost werden und die gemeinsam Lösungen entwickeln. Diese Räte sind vielfältig, repräsentieren die ganze Gesellschaft und arbeiten so lange an Entscheidungen, bis niemand mehr einen schwerwiegenden Einwand hat. Soziokratie nennt sich dieses Konzept, das auf die Schwarmintelligenz der Gruppe setzt statt auf Einzelentscheidungen.

Neue Herausforderungen brauchen neue Herangehensweisen.

Aber die Geschichten, die wir uns seit Jahrtausenden erzählen, setzen immer auf alte Herrschaftsformen und damit alte Strategien, die uns immer wieder dieselben Lösungsansätze versuchen lassen, die uns aber regelmäßig in dieselben Sackgassen führen, wie die permanente Wiederholung der Weltgeschichte zeigt. Es wird Zeit, neue Narrative zu schaffen, alte, lange implizierte Denkmuster abzulegen und gemeinsam neue Wege zu gehen.

Doch warum ist dieses Konzept so wenig verbreitet? Vielleicht, weil uns noch die Geschichten fehlen, die uns dieses Modell nahebringen. Märchen haben die Kraft, uns nicht nur zu unterhalten, sondern auch gesellschaftliche Werte und Ideen zu vermitteln. Es wird Zeit, neue Märchen zu erzählen, die zeigen, dass wir alle mündige Bürger:innen sind und dass kollektive Intelligenz über ideologischen Machtkämpfen steht.  

Ich habe hier ein solches Märchen entworfen – ein Märchen, das davon erzählt, wie die Weisheit einer Gruppe ein Land in eine blühende Zukunft führt.

HARMONIA - Das Märchen vom Rat der Stimmen

Es war einmal ein Königreich namens Harmonia. Es war ein schönes Land mit grünen Wäldern, klaren Flüssen und fruchtbaren Feldern. Doch obwohl das Land reich war, gab es Unfrieden. Die Menschen stritten sich oft – die Bauern gegen die Händler, die Fischer gegen die Handwerker, die Jungen gegen die Alten. Und immer wieder riefen die Menschen nach einem starken König, der alles für sie regeln sollte.  

Der König von Harmonia war weise, jedoch bereits sehr alt und gebrechlich. Als er seine Zeit kommen fühlte, rief er seine drei Kinder zu sich, die alle den Thron besteigen wollten. Er sprach: „Das Zeitalter eines einzelnen Herrschers ist vorüber. Harmonia soll zukünftig nicht von einem König oder einer Königin regiert werden, sondern von der Weisheit seines Volkes. Ihr werdet einen Rat bilden, einen Rat der Stimmen, in dem alle Menschen dieses Landes gleichberechtigt vertreten sind.“  

Die Kinder waren verwirrt. „Wie soll das funktionieren?“, fragten sie. Doch der König lächelte nur. „Löst eure Probleme nicht durch Macht, sondern durch Zuhören. Setzt euch zusammen und redet so lange, bis ihr die Lösung findet, die allen dient.“  

Nun herrschte helle Aufregung unter den drei Kindern. „Du willst uns entmachten und die Macht dem Volk übertragen?“ Der weise König antwortete: „Es stimmt schon, ihr werdet keine Herrscher mehr sein. Doch eure Aufgabe wird genauso wichtig sein: Ihr werdet die Versammlungen leiten und dafür sorgen, dass jeder zu Wort kommt und niemand übergangen wird. Ihr werdet die Wächter der Stimmen und Hüter des Kreises sein.“  

Die Kinder, die zeitlebens stets die Güte und Weisheit ihres Vaters geschätzt hatten, hielten sich an seinen letzten Wunsch. Und so wurde nach dem Tod des Königs tatsächlich ein Rat gebildet. Aus jeder Ecke des Landes wurden Menschen per Zufall gelost: Arme und Reiche,  Junge und Alte, eine Fischerin, ein alter Händler, ein junger Bauer, eine Kräuterfrau, ein Schreiber, eine Weberin und viele andere. Sie waren so verschieden wie die Farben des Regenbogens, und anfangs schienen sie sich in nichts einig zu sein.  

Doch die Regeln des Rates waren klar: Niemand durfte überstimmt werden. Jeder musste gehört werden, und nur wenn niemand einen schwerwiegenden Einwand hatte, wurde eine Entscheidung getroffen. Es dauerte lange, doch etwas Magisches geschah. Die Menschen lernten, einander zuzuhören. Sie hörten nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen. Sie suchten nicht nach Siegen, sondern nach Lösungen, die allen gut taten.  

Schon bald begann Harmonia in neuem Glanze zu erblühen. Die Fischer und Bauern fanden gemeinsam Wege, die Flüsse sauber zu halten. Die Jungen und Alten lernten voneinander und unterstützten einander. Die Händler und Handwerker arbeiteten zusammen. So machten sie alle gemeinsam das Land gerechter und lebenswerter für alle.  

Harmonia wurde zu einem Land, das von der Weisheit seiner Menschen regiert wurde – ein Land, das in Geschichten und Liedern als Vorbild für die ganze Welt diente.  

© Dania Horky, Jänner 2024 – Das Märchen stelle ich zum freien mündlichen Erzählen zur Verfügung – sprich, es darf in eigenen Worten weitererzählt werden.
Der wortwörtliche Text selbst unterliegt dem Urheberrecht und darf als solcher nicht ohne mein Einverständnis weitererzählt, kopiert oder weitergeteilt werden.

Neue Märchen, neue Wege

Geschichten wie diese vom Rat der Stimmen zeigen, dass es Alternativen zu den alten Konzepten von Macht und Führung gibt. Sie machen sichtbar, dass jede und jeder von uns Teil der Lösung sein kann. Vielleicht liegt genau hierin der Schlüssel für eine friedliche und gerechte Zukunft: nicht der Ruf nach starken Führer:innen, sondern das Vertrauen in die Stärke der Gemeinschaft.  

Es ist an der Zeit, dass wir neue Geschichten erzählen – Geschichten, die uns inspirieren und zeigen, wie wir gemeinsam den Weg in eine bessere Welt gehen können.

Dania Horky, 23.01.2025

Werde selbst Geschichtenerzähler*in

Wenn du spürst, wie viel Kraft und Magie in Geschichten liegt und die Sehnsucht nach einem tiefen Miteinander in dir wächst, warum nicht selbst die Kunst des Erzählens entdecken? Es ist nie zu spät, in die Rolle des Geschichtenerzählers oder der Geschichtenerzählerin zu schlüpfen und die Welt mit deinen Erzählungen zu bereichern. Als Mentorin begleite ich dich mit meinem Natürlich Erzählen Ausbildungsprogramm auf diesem Weg und unterstütze dich dabei, deine eigenen Geschichten lebendig werden zu lassen. Mit meiner Erfahrung als Schauspielerin, Wildnispädagogin und Geschichtenerzählerin biete ich dir individuelle, einfühlsame 1:1 Begleitung, die dir hilft, deine Stimme zu finden, deine Erzählweise zu entwickeln und die Verbindung zu anderen durch das Erzählen zu vertiefen. Gemeinsam können wir eine neue Erzählkultur schaffen, die auf Verbindung, Wertschätzung und dem Wunsch nach einer besseren Zukunft für alle basiert, und eröffnen gemeinsam einen Raum für echte Begegnung.

Wenn du neugierig bist, wie ich dich auf diesem Weg unterstützen kann, lade ich dich herzlich ein, ein erstes, kostenloses Kennenlerngespräch zu vereinbaren. Ganz ohne Verpflichtungen – einfach, um zu sehen, wie sich dieser Weg für dich anfühlen könnte. Ich freue mich darauf, dich kennenzulernen!
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